9. September 2008

Internet, 18°C, wolkig

Category: Internet,Produkte — Christian @ 02:41

Im gedruckten Focus (Ausgabe Nr. 37 vom 8. September 2008) steht ein interessanter Artikel zu Googles Chrome. Überschrift: „Angriff der Datenkrake„. Leider gibt es den Artikel bisher nicht online aber einen anderen mit ähnlichem Tenor.

Interessant finde ich den Artikel aus zwei Gründen: zum einen, weil der Artikel des Focus von allen Medien die mir so untergekommen sind noch am differenziertesten berichtet und auch die Datenschutzproblematik thematisiert. Vermutlich ist das ein Vorteil des Print, man kann sich etwas mehr Zeit lassen und daher ausgewogener berichten (Hr. Niggemeier würde das vermutlich abstreiten).

Zum anderen stellt Focus jedoch eine bemerkenswerte Theorie auf, die meiner Ansicht nach völliger Blödsinn ist. Auf der ersten Seite wird Chip-Redakteur Henschel mit der Aussage „die Marktmacht des Internet Explorers sei zumindest derzeit weniger gefährdet“ zitiert. Und auch wenn ich von Chip nicht besonders viel halte, möchte ich Herrn Henschel hier uneingeschränkt recht geben. Auf der nächsten Seite kommt dann jedoch der Informationswissenschaftler Dirk Lewandowski von der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg zu Wort, der eine haarsträubende Theorie aufstellt:

    „Chrome ist somit mehr als nur ein neuer Browser – das Programm könnte sich zu einem Web-Betriebssystem entwickeln und stellt somit einen Angriff auf Microsoft dar.“

Begründet wird diese Aussage mit vagen Verweisen auf Cloud-Computing. Bei Cloud-Computing werden Programme, Daten und Rechenkapazität sozusagen ins Internet verlagert. Man spricht dann von einer diffusen Wolke, der Cloud. Angeblicher Vorteil: die Daten sollen sicher in einem Rechenzentrum lagern und können  jederzeit und von überall wieder abgerufen werden. Nachteil: die persönlichen Daten liegen bei einem fremden Unternehmen, das sich diese gerne auch mal per AGB aneignet.

Ein Web-Betriebssystem! Was für ein Quatsch.

Zu einem Betriebssystem gehört mehr als nur ein GUI zur Anzeige von etwas Text und Grafik. In erster Linie zeichnet sich das Betriebssystem für mich durch die Steuerung der Hardware aus. Dazu gehören Treiber für Festplatte und Wireless LAN genauso wie Anpassungen an eine deutsche Tastatur und den angeschlossenen Monitor. Microsoft Windows XP ist ein Betriebssystem. Microsoft Vista mit vielleicht etwas zähneknirschen auch. GNU/Linux ist sogar ein Open Source Betriebssystem, genau wie FreeBSD. Debian, SuSE und Ubuntu sind Varianten (Distributionen) von Linux. Chrome ist ein Browser.

Ein Browser mit etwas schnellerer Javascript-Engine und einem simplen „Prozesse statt Threads“-Konzept wie man das vor 10 Jahren schon hatte ist kein Betriebssystem. Auch Gears macht Chrome nicht zum Betriebssystem und Chrome wird das Betriebssystem niemals ersetzen. Ich stelle mir das auch gerade spannend vor, einen modernen DirectX-10 Ego-Shooter wie Crysis in Chrome laufen zu lassen. Es muss echt schwierig sein, die 3D-Grafikberechnungen in Javascript sauber hinzubekommen. Ich vermute so 0,01 Frames/sek müsste man vielleicht schaffen.

Zum zweiten, wer vertraut denn ernsthaft sensible Daten anonym in einer Cloud einem fremden Unternehmen an. Und dann auch noch speziell Google und deren AGB? Die Daten sind weder besonders zuverlässig in so einer Cloud gespeichert, wie beispielsweise Twitter feststellen musste, als Amazons S3 Service (den ich im Grunde für recht gut halte) leider ausgefallen ist. Noch wird vom Anbieter sichergestellt, dass kein Fremder Zugriff auf die Daten erhält. Dazu aber bei gegebenem Anlass einen eigenen Artikel.

Auf keinen Fall kann (und will) Google mit Chrome einen Angriff auf das Microsoft Windows Betriebssystem starten. Vielleicht, aber nur ganz ganz vielleicht kann Google damit ein paar winzige Prozent Marktanteile von Office abknabbern. Ich denke, das ist noch nicht einmal direkt geplant. Das einzige was Google will ist, dass die eigenen AJAX-Programme weiterhin vernünftig in verschiedenen Browsern funktionieren. Und das geht am besten mit einem Referenzbrowser, dessen Funktionalität andere nachbilden müssen. Die „Balkanisierung“ des Browsermarkts, in dem sich inzwischen neben dem Internet Explorer und Mozilla Firefox auch Opera, Safari und Chrome tummeln sorgt wahrscheinlich auch dafür, dass sich die Entwickler von Webseiten gezwungen sehen, sich mehr an Standards zu halten. Webseiten nur noch für den Internet Explorer zu entwickeln kann sich heute niemand mehr leisten.

Auf anderen Märkten ist Google übrigens durchaus mit einem eigenen Betriebssystem vertreten. T-Mobile USA möchte sogar noch 2008 erste Mobiltelefone mit dem Google Handybetriebssystem Android ausliefern. Android ist Linux-basiert und steht in direkter Konkurrenz zu Symbian, iPhone und Windows Mobile.

Aber Google Chrome als Web-Betriebssystem zu bezeichnen … my ass!

6 Comments

  1. *thumbs up*

    Comment by mcfrog — 9. September 2008 @ 19:42

  2. 🙂

    Comment by Christian — 9. September 2008 @ 21:56

  3. Als Ergänzung noch ein Kommentar den ich in Superhais Blog hinterlassen habe:

    1. Google hätte sehr wohl das Geld und die Ressourcen, einen komplett neuen Browser zu schaffen. Mit der Javascript-Engine haben sie das ja auch gemacht. Google geht es aber tatsächlich nur um drei Sachen:
    a. der Browser muß stabiler werden denn sonst verwendet den niemand wie eine Office Anwendung
    b. Javascript muß schneller werden denn gerade die Google-Ajax-Sachen sind extrem heftig. Und nebenbei bekommt man Gears über die Hintertür in den Browser
    c. durch die enge Integration mit der Suchmaschine die fast alle User in der Voreinstellung lassen, hält man die Nutzer und gewinnt mehr Daten über sie.
    Warum also mehr investieren als dringed nötig?

    2. Im Moment werden Plugins gar nicht unterstützt und wenn, dann laufen die bei Chrome ja in einem eigenen Prozess. Wenn also ein Plugin crashed, dann zieht das nicht wie bei Firefox sämtliche Browserfenster weg sondern lediglich das eine mit dem Plugin. Das ist schon ein Vorteil. Dafür leidet massiv die Performance durch die vielen Prozeßforks.

    3. Google hat natürlich auch das Geld um mehr Features zu entwickeln, das Problem ist eher die Zeit. Chrome MUSSTE vor IE8 auf dem Markt sein. Wenn es Microsoft mit IE8 wirklich gelingt, die ACID-Tests zu bestehen und einen schnellen Browser mit neuen einmaligen Features zu schaffen, der bei Microsoft Live sucht, dann hat Google ein Problem.

    4. Die Tabs oben ist wirklich intelligenter als die Firefox-Lösung. Opera hat die schon seit Jahren und natürlich hätte Google für eine andere Anordnung an niemanden Geld zahlen müssen. Aber mir passiert z.B. immer wieder, daß ich ne Suche starte und die landet in nem anderen Fenster (da wo meine Eingabefelder waren) als gewünscht. Und dann ist der schon eingegebene Text meistens weg. Das passiert bei Chrome nicht mehr.

    Comment by Christian — 9. September 2008 @ 21:58

  4. Das „Zu einem Betriebssystem gehört mehr als nur ein GUI zur Anzeige von etwas Text und Grafik. In erster Linie zeichnet sich das Betriebssystem für mich durch die Steuerung der Hardware aus.“ bringt es auf den Punkt. Aber es passiert nicht nur heute, dass die Leute etwas unbedingt als Betriebssystem bezeichenen zu meinen müssen.
    Da hat mal jemand in Frankfurt/Main eine Shell namens Numath geschrieben, und das in seinen Vorlesungen als Betriebssystem verkauft – ich hatte anschließend Probleme, den Mann noch ernstzunehmen. Das war die Zeit der DEC VAXe….

    Comment by tw — 12. September 2008 @ 10:41

  5. Ach, vielleicht kommt es ja auf die Shell an … Emacs wird ja auch gerne mal als „Betriebssystem“ bezeichnet 🙂

    Natürlich braucht ein Browser, eine Shell und ein Editor immer auch ein Betriebssystem. Die Frage ist dann nur noch, wie schlank kann das Betriebssystem sein. Ich will mal nicht ausschließen, daß es irgendwann von Google auch Linux-basierte Thin Clients mit Chrome drauf geben könnte und alle Anwendungen wie Office, Internet, E-Mail etc. macht man dann Online mit dem Browser im Internet. Funktionell sehe ich keinen großen Unterschied zu einem Thin Client heute, der via Internet/VPN auf einen Terminal Server im Unternehmen zugreift.

    Eine andere Frage ist natürlich ob ich meine Daten in so einer ominösen Wolke haben will.

    Comment by Christian — 12. September 2008 @ 12:13

  6. Kommentare gesperrt wegen Spam

    Comment by Christian — 20. September 2008 @ 19:10

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